Therapietreue bei Patienten verbessern durch Kommunikation & Co
Adhärenz-Kommunikation zur Verbesserung der Therapietreue
Adhärenz: Stellenwert und Status quo der Adherence bzw. Therapietreue bei deutschen Patienten
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt die Hälfte aller chronischen Patienten eine mangelnde Adhärenz bzw. Therapietreue. Das bedeutet, dass wir trotz modernster Therapieverfahren eine Ausfallsrate beklagen müssen, die in anderen Sektoren nicht denkbar wäre bzw. nicht hingenommen werden könnte. Schließlich entstehen auch bei eingeschränkter Adhärenz deutliche Kosten für Beratungen und Behandlungen und ggf. sogar für den Kauf verordneter Medikamente, die nicht ordnungsgemäß eingenommen werden oder gleich nach dem Kauf im Müll bzw. im Schrank landen.
Eine Analyse der New York Times ergab in 2017, dass 10% der Krankenhausaufenthalte und jährlich 125.000 Tote in Amerika durch mangelnde Adhärenz verursacht werden.
Im Artikel wird die Non-Adhärenz als „Epidemie“ bezeichnet, die mehr kostet und mehr schadet als alle anderen Ekrankungen, vor denen sich die Amerikaner fürchten.
Auch Teil 2 des Artikels geht kritisch mit dem Status quo um und zeigt Möglichkeiten auf.
Mangelnde Therapietreue: So sieht der Status quo aus:
30% der Medikamente werden nicht eingenommen
Ein Drittel der Medikamente wird nach der Verordnung gar nicht eingenommen. Das ergab eine Analyse in den Annals of Internal Medicine.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Therapie von Tinnitus (von Selbsthilfe über Medikation bis hin zu Tinnotis-Retraining-Therapie) finden Sie auf den Seiten der Deutschen Tinnitus-Liga.
50% der eingenommenen Medikamente werden falsch eingenommen
Von denjenigen Medikamenten, die eingenommen werden, nimmt die Hälfte der Patienten die Medikamente falsch ein. Zu kurz, mit zu geringer Dosierung oder ohne Berücksichtigung wichtiger Details.
Wie ist die Adherence bei Chronikern?
Chronische Patienten nehmen regelmäßig einzunehmende Arzneimittel zur ungefähr in der Hälfte der Menge, die erforderlich wäre. Das ergab eine Cochrane-Analyse
Therapie-Adhärenz bei relevanten Krankheitsbildern
- Nierentransplantation: Jeder Dritte Patient nimmt erforderliche Medikamente nach Nierentransplantation nicht ein, obwohl diese ein Absstoßen des Organs verhindern (ungenügende Tacrolimus-Spiegel)
- Weniger als die Hälfte der Patienten mit Vorhofflimmern, die einen Vitamin-K-Antagonisten einnehmen, befindet sich innerhalb der therapeutischen INR-Bereiche.
- Vor allem bei chronischen Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen, leidet die Adhärenz. International schaffen es trotz Medikation nur 28 Prozent der Patienten mit Diabetes, ihre glykämischen Werte zu kontrollieren, und weniger als 25 Prozent haben einen optimalen Blutdruck
- Asthma: Die Hälfte der Kinder mit Asthma inhaliert nicht leitliniengerecht
Woran liegt diese eingeschränkte Adhärenz?
Die WHO hat dafür fünf Gründe ausfindig gemacht, die eine Einfluss auf die Adhärenz haben:
1. Sozioökonomische Faktoren (Bildungsniveau, Alter, finanzieller Status, Gesundheitskompetenz, sozialer Support)
2. Therapiebezogene Faktoren (Dauer der Behandlung, Nebenwirkungen der Therapie, Komplexität der Mitwirkung, häufige Änderungen der Behandlung)
3. Patientenbezogene Faktoren (Angst vor Nebenwirkungen, Vergesslichkeit bzw. Beeinträchtigungen wie z.B. kognitive Einschränkungen, Demenz, Kraftlosigkeit, psychosozialer Stress, fehlende Motivation, mangelndes Wissen, fehlendes Vertrauen in die Therapie)
4. Krankheitsbedingte Faktoren (Schwere der Symptome, Progression, Schmerzen, erkrankungsbedingte Einschränkungen)
5. Beziehung zu Helfenden im Gesundheitssystem (Vertrauen)
Arzt-Patienten-Kommunikation: Stellenwert und Chancen
Eine Metaanalyse aus 2009 zeigte, dass gerade die Arzt-Patienten-Kommunikation eine große Hebelwirkung hat. Die Chance, dass Patienten ihre Therapie nicht ordnungsgemäß begleiten, ist bei schlecht kommunizierenden Ärzten 19% größer als wenn die Patienten bei Ärzten in Behandlung sind, die gut kommunizieren können. Durch ein Kommunikationstraining kann die Adhärenz um mehr als 62% gesteigert werden.
Wie kann ich als Arzt Adhärenz meiner Patienten fördern?
Wenn wir uns die skizzierten 5 Gründe ansehen, wird ersichtlich, welche Hebel im Arzt-Patienten-Dialog bestehen:
• Fehlende bzw. eingeschränkte Gesundheitskompetenz kann dadurch verbessert werden, dass Zusammenhänge erklärt werden. Oft scheitern fehlende Verhaltensänderungen am fehlenden Problembewusstsein. Bluthochdruck schmerzt nicht und bereitet jahrelang keine Symptome. Deshalb ist der Handlungsdruck gering und die Nachteile eines Verzichts für eine (in der Zukunft liegende, unklare und vielleicht nie eintreffende) Erkrankungskonsequenz erscheinen vielen Patienten zu hoch BIAS. Durch einfaches, klares Herstellen von Zusammenhängen und Konsequenzen können Sie hier Problembewusstsein erhöhen.
• Sozialer Support kann ggf. durch die Vermittlung in eine Selbsthilfegruppe, in den Rehasport oder in andere Gruppen gelingen. Immer wieder scheitert Verhaltensänderung daran, dass Patienten alleine sind oder im Freundes- bzw. Familienkreis keine Unterstützung für die erforderliche Verhaltensänderung erhalten. Gelingt es, hier Gleichgesinnte bzw. Menschen mit ähnlichen Lebenswelten zueinander zu führen, kann das positiv auf die Adhärenz wirken. Gerade durch das Internet hat sich auch im Selbsthilfe-Bereich viel getan. Die Anonymität des WWW reduziert die Hemmschwelle und erleichtert die ersten Berührungen mit derartigen Communities.
• Therapiebezogene Faktoren können durch entsprechende Hilfsmittel verringert bzw. beseitigt werden. Ziel sollte sein, die Zugangshürde zur Verhaltensänderung möglichst gering zu gestalten. Je leichter das Leben der Patienten mit dem neuen Verhalten, umso höher die Chance auf Verhaltensänderung. Das gelingt z.B. bei der Notwendigkeit von Medikation durch vorbereitete Medikamentenschachteln je Wochentag oder durch Verblisterung. Neu am Markt sind auch Apps verfügbar, die akustisch alarmieren, wenn es Zeit ist, die Medikamente einzunehmen. Durch Nutzung derartiger Hilfsmittel nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass Medikamente vergessen werden.
• Die Beziehung zu den Helfenden hat vor allem im Zusammenspiel Arzt-Patient einen großen Hebel. Durch eine patientenzentrierte Gesprächstechnik und eine Grundhaltung, die davon geprägt ist, dass es gute Gründe für alle Verhaltensweisen gibt, wird der Zugang zum Patienten besser. Erst wenn so viel Offenheit besteht, dass ehrlich über Non-Adhärenz gesprochen werden kann und die individuellen Gründe gemeinsam diskutiert werden ist eine Chance auf kausale Änderung der Situation möglich.
• Fragen wie „Nehmen Sie Ihre Medikamente regelmäßig ein?“ sind suboptimal, weil sie als geschlossene Fragen wenig Antwortspielraum („Ja“ oder „Nein“) ermöglichen und Patienten oft im Sinne der sozialen Erwünschtheit mit „Ja“ antworten.
• Gut kann das gelingen, in dem offene Fragen gestellt werden und ehrliches Interesse an Gründen gezeigt wird, die eine gewünschte Mitwirkung des Patienten verhindern. Erst wenn die genauen Beweggründe für Therapie-Abbruch bzw. Nichteinnahme von Medikamenten bekannt sind, kann Schritt für Schritt ein alternativer Weg gefunden werden. Vielleicht passt die Einnahmeform nicht? Oder Nebenwirkungen sind zu stark? Oder es gibt andere Vorbehalte, die entkräftet werden können? Der Hebel ist oft größer als man denkt. Auch das ist durch Studien belegt (z.B. Effective Interventions for Diabetes Patients by Community Pharmacists) .Doch zuerst muss sich der Patient öffnen dürfen.
5 Tipps zur besseren Adhärenz-Kommunikation
Mit diesen 5 Tipps wird Gesprächsführung zur Therapietreue mit Ihren Patienten leichter:
• Vorwissen des Patienten zur Thematik Therapietreue abfragen
• Zufriedenheit mit aktueller Medikation abfragen
• Mit Patienten besprechen, wie gut er die erforderlichen Verhaltensweisen in die Familie bzw. in den Alltag integrieren kann
• Abfragen, wie gut er bei Medikamenten mit der Applikationsform und mit Nebenwirkungen zurecht kommt
Mehr Informationen zu Therapietreue im Netz
Der Artikel „Wie lässt sich Adhärenz endlich verbessern“ gibt einen guten Zusammenhang und zeigt die Erfolgsfaktoren übersichtlich auf.
Der Artikel „verstehen, messen, verbessern“ geht vor allem auf Adhärenz-Beratung in der Apotheke ein und zeigt, was Apotheker tun können und welche Rolle im Apotheken-Setting Erfolg bei der Therapietreue bringen kann.